Oft habe ich mich gefragt – schreibt P. Mariano Tibaldo (im Bild) –, in wieweit die Missionserfahrung mein Verhalten zu den anderen und zu den Dingen dieser Welt, sowie meine Beziehung zu Gott und zu meinem eigenen Missionsberuf geprägt haben mag. Mit anderen Worten, was hat bis heute mein Leben geformt; wie haben mich Begegnungen mit Menschen anderer Kulturen und verschiedener Sensibilität verändert; wie hat mich das Gemeinschaftsleben mit Mitbrüdern, die von positiven aber auch schwierigen Erfahrungen gezeichnet sind, mitgestaltet; wie haben bedeutungsvolle aber auch dramatische Situationen meine missionarische Sensibilität geschärft.
Mein Missionsleben ‘erzählen’ heißt nicht nur, missionarische Fakten und Probleme wiedergeben (und schon gar nicht ‘missionarische Sichtweisen’ auftischen, die vielleicht den Verstand interessieren, aber nicht das Herz). Die Mission erzählen heißt, die grundlegenden Elemente ‚in Erinnerung rufen’, die das Leben geprägt haben (im weitesten Sinn des Wortes, nämlich Ereignisse, die auf andere Realitäten hinweisen, durch die man von der unsichtbaren Hand Gottes liebevoll berührt worden ist), und Teil der persönlichen Geschichte und Identität geworden sind.
Das ‘Erzählen’ nimmt dann eine performative Dimension an (performativ: im Augenblick des Sprechens wird eine Aussage “Wirklichkeit”, Anmerkung des Übersetzers), denn dadurch, dass es eine Veränderung bezeugt, die Verstand, Herz und Wille interessiert, nimmt es andere in den eigenen missionarischen Weg herein.
Das Erzählen ist im Grunde nichts anderes als Zeugnis von einer Begegnung zu geben, die geheimnisvoll in der Geschichte geschieht, und die Richtung angibt. Die Mission entsteht aus der Begegnung mit der Liebe Gottes.
Papst Franziskus schreibt in seiner Enzyklika Evangelii Gaudium (EG): „Allein dank dieser Begegnung – oder Wiederbegegnung – mit der Liebe Gottes, die zu einer glücklichen Freundschaft wird, werden wir von unserer abgeschotteten Geisteshaltung und aus unserer Selbstbezogenheit erlöst. Unser volles Menschsein erreichen wir, wenn wir mehr als nur menschlich sind, wenn wir Gott erlauben, uns über uns selbst hinaus zu führen, damit wir zu unserem eigentlicheren Sein gelangen. Dort liegt die Quelle der Evangelisierung. Wenn nämlich jemand diese Liebe angenommen hat, die ihm den Sinn des Lebens zurückgibt, wie kann er dann den Wunsch zurückhalten, sie den anderen mitzuteilen?“ (EG 8).
Die 150 Lebensjahre des Instituts in Erinnerung rufen heißt, konstituierende und grundlegende Ereignisse feiern, jenen “Felsen, aus dem wir gehauen sind”, die aus uns das gemacht haben, was wir heute sind, und in denen wir die liebevolle Hand Gottes wahrnehmen. Es heißt aber auch, jene Personen ins Gedächtnis zu rufen, die die Werte mit Leidenschaft und voller Selbsthingabe gelebt haben. Ich wähle drei Ereignisse aus, die nach meiner Ansicht in unserem Leben und in der Erfüllung unserer Mission besonders bedeutungsvoll geworden sind, da sie Dauerhaftes, Haltungen und grundlegende Dimensionen ausdrücken.
- Combonis Tod als beispielhaftes Ereignis seines Lebens
Ich gestehe, dass mich Combonis leidenschaftliche Hingabe für Afrika immer fasziniert hat. Er war wie die Flamme einer Kerze, die langsam herunterbrennt. Wer erinnert sich nicht an jene Fotografie mit ergrautem Bart und leidgeprüftem Gesicht, die gegen Ende seines Lebens gemacht wurde? Aber auch sein Tod und die anschließenden Ereignisse haben mich immer als sinnbildliche Events seines Lebens beeindruckt. Comboni starb, als sich am Horizont die dunklen Wolken des Mahdi Aufstandes zu bilden begannen, der die Sudan Missionen hinwegfegen würde. Wenige Tage vor seinem Tod schrieb er an P. Sembianti folgende Worte: „Ich bin glücklich im Kreuz, das, wenn es aus Liebe zu Gott gerne getragen wird, den Sieg bringt und das ewige Leben“.
Rein menschlich gesehen, schienen jene Worte der Wirklichkeit zu widersprechen, zumindest was den Triumpf der Mission betraf. Wer konnte besser als er selbst das unglaubliche Ausmaß der Mission und auch die Knappheit der Kräfte ermessen? Eine Erbschaft, die der Missionar Johann Dichtl, der Comboni in den letzten Stunden beigestanden war, entgegengenommen hatte, aber noch zu jung war, um jene übermenschliche Mission weiterzuführen; ein Erbgut, das zudem bald nach dem Ausbruch des Mahdi Aufstands verlorenzugehen schien.
Comboni wurde im Garten der Mission neben dem ersten apostolischen Provikar P. Maximilian Ryllo SJ beigesetzt. Nach dem Ende des Mahdi Aufstandes besuchte Mons. Roveggio 1901 den Missionsfriedhof von Khartum, um ihre Überreste zu bergen. „[…] man ist zu den Gräbern von P. Ryllo und Mons. Comboni in den Missionsgarten von Khartum zurückgekehrt, – schreibt Domenico Agasso in seiner Comboni-Biographie. Das erste Grab war unberührt […]. Im zerstörten Grab von Comboni fand man nur einige mit Erde vermischte Knochenreste. […]. Wenige Überreste […]: der Körper des Apostolischen Vikars ist zum großen Teil an Ort und Stelle geblieben, vermischt mit jener Erde. Vorbehaltlose Hingabe […] Comboni und Afrika sind eins geworden”[1].
Eine bewegende Szene, die noch deutlicher als Worte die innere Leidenschaft Combonis ausdrückt, im Leben und im Tod Afrika zu gehören. Ein zutiefst symbolisches Geschehen: Combonis Körper, ‘vermischt’ mit jener Erde, scheint sie zu befruchten. Er gehört Afrika über den Tod hinaus. Sieht man von den Gefühlen ab, könnte man, rein menschlich gesprochen, den großen Traum Combonis für gescheitert betrachten – so wie andere Unternehmen vor ihm.
Die Worte von Papst Franziskus in Evangelii Gaudium, mit denen er ein grundlegendes Prinzip für den Aufbau einer neuen Gesellschaft formuliert, sind sehr einleuchtend. Er sagt, dass die Zeit mehr wert ist als der Raum. „Der Zeit Vorrang zu geben bedeutet, sich damit zu befassen, Prozesse in Gang zu setzen, anstatt Räume zu besitzen. Die Zeit bestimmt die Räume, macht sie hell und verwandelt sie in Glieder einer sich stetig ausdehnenden Kette, ohne Rückschritt. Es geht darum, Handlungen zu fördern, die eine neue Dynamik in der Gesellschaft erzeugen und Menschen sowie Gruppen einzubeziehen, welche diese vorantreiben, auf dass sie bei wichtigen historischen Ereignissen Frucht bringt. Dies geschehe ohne Ängstlichkeit, sondern mit klaren Überzeugungen und mit Entschlossenheit“.
Und weiter schreibt der Papst: „Dieses Kriterium lässt sich auch gut auf die Evangelisierung anwenden, die uns dazu aufruft, den größeren Horizont im Auge zu behalten und die geeigneten Prozesse mit langem Atem anzugehen“ EG 223 und 225).
Leben und Sterben von Comboni können wir als eine ‘Leben erzeugende Aktion‘ eines Veränderungsprozesses mit Hilfe von wenigen Personen betrachten, die den Traum weiterverfolgen. ‘Leben erzeugende Aktionen‘ sind also ein Kriterium für eine Missionsmethode und die Missionarische Bewusstseinsbildung, die, auch wenn sie scheinbar unbedeutend sind, eine Veränderung in Bewegung setzen, der sich Personen anschließen, die dann ihrerseits zu Veränderungen beitragen. Beispiele dafür gibt es genug in unserer Geschichte. Ich erwähne kurz Br. Michele Sergi und seinen ‘Klub’ von Khartum, der für viele Jugendliche zu einem Ort der Begegnung und Fortbildung wurde. Ohne große Ansprüche zu stellen, wurden viele von ihnen, die durch seine Schule gingen, zu Glaubensboten in jenen Gebieten Südsudans, die die Missionare noch nicht erreicht hatten.
- Nach dem Mahdi Aufstand
Der Orkan des Mahdi Aufstands war gleich nach dem allzu frühen Tod von Comboni über unsere Missionen hereingebrochen. Die Zentralafrikanische Mission wurde hinweggefegt, das Missionspersonal floh nach Ägypten oder geriet in Gefangenschaft. Für die Letzteren begann ein langer Kreuzweg voll von Demütigungen.
Nach zwanzig Jahren kehrten die Missionare nach Khartum zurück und machten sich in den Süden auf, um neue Missionen zu gründen: 0hne Beziehungspunkt und Erfahrung, ohne Anweisungen für die Missionspastoral. Nach seinen ersten Erfahrungen im Sudan umschreibt P. Antonio Vignato die Lage so: “Die arge Verspätung unserer katechetischen Organisation muss man auch unserer Unerfahrenheit zuschreiben, eine Mission zu organisieren; niemand von uns hatte die Möglichkeit gehabt, die Arbeit anderer Missionare zu beobachten, und äußerst wenig hatte man von den Erfahrungen anderer gelesen. Den einzigen Anschauungsunterricht hatten wir in der Kolonie von Gesirah […] und in den Schulen von Helouan, Suakim und ähnlichen erhalten”[2]. Man muss von vorne anfangen trotz der immensen Schwierigkeiten und den vielen Hindernissen.
Alles verlieren und neu anfangen, den Traum Combonis wiederbeleben – oder ihn lebendig erhalten inmitten von Schicksalsschlägen, die viele von uns erlebt haben – wird wie ein Refrain wiederholt, der uns von allem Anfang an begleitet hat. Als ob uns der Herr durch diese und andere schmerzlichen Erfahrungen zum Wesentlichen der Mission hingeführt hätte. Ich denke an die Zerstörungen des Krieges in Uganda, als ich noch Scholastiker war; an die zerstörten Missionen von Maracha, Koboko und anderer; ich erinnere mich an die Mission von Otumbari, die die Missionare auf Anordnung des Bischofs wegen der Guerillakämpfe verlassen mussten; ich denke an den Schmerz von P. Bernardo Sartori, als er den Befehl erhielt, die Mission zu räumen, obwohl er von der Notwendigkeit nicht überzeugt war, aber sein Haupt im Gehorsam beugte. Ich denke auch an jene Mitbrüder, die an der Seite des Volkes trotz Krieg und Gewalt ausharren und die Flüchtlinge begleiten. Von vorne anfangen; unnachgiebig; den Traum Combonis, der Jesu Traum ist, am Leben erhalten, oder ihn wieder aufleben lassen, wenn alles verloren zu sein scheint; den schmerzhaften Prozess der Kenosis erleiden, was Teilnahme an Jesu Kenosis ist, dort wo die Arbeit von Jahren zerstört und vernichtet worden ist. Solche Erfahrungen können durch einen vom Geist geleiteten Prozess der Entscheidungsfindung zum Kairòs werden, zu einer unerwarteten Gelegenheit zu wachsen und sich zu verändern.
Das ist ein Aufruf, sich von kurzlebigen Sicherheiten und von klug ausgedachten Plänen und Methoden zu verabschieden, sollten sie nur die Frucht von „Ehrgeiz“ sein. „Wie oft erträumen wir peinlich genaue und gut entworfene apostolische Expansionsprojekte, typisch für besiegte Generäle! So verleugnen wir unsere Kirchengeschichte, die ruhmreich ist, insofern sie eine Geschichte der Opfer, der Hoffnung, des täglichen Ringens, des im Dienst aufgeriebenen Lebens, der Beständigkeit in mühevoller Arbeit geschieht, ‘im Schweiß unseres Angesichts’ (EG 96). Auf diese Weise werden Schicksalsschläge, Niederlagen, Verluste, Aufgabe unserer weltlichen Sicherheiten eine Einladung zur Umkehr, verwandeln sich in grundlegende Events, um zu den Wurzeln unserer Identität und unserer Mission zurückzufinden.
Mit wenigen Worten zeigt Evangelii Gaudium die Dimensionen einer Gemeinschaft ‚im Aufbruch‘ und das Wesentliche der Mission auf. Papst Franziskus spricht von einer Gemeinschaft, die die Initiative ergreift, die die weit entfernten Menschen aufsucht, an die Wegkreuzungen geht und die Ausgeschlossenen einlädt: Das entspricht unserer Tradition, zu den ‚Ärmsten und am meisten Verlassenen‘ zu gehen. Unter diesem Gesichtspunkt behält die Formel ad gentes weiterhin ihre Gültigkeit. Franziskus spricht auch von einer Gemeinschaft, die sich einbringt und „das menschliche Leben annimmt, indem sie im Volk mit dem leidenden Leib Christi in Berührung kommt“, das Echo jenes ‘gemeinsame Sache mit den Leuten machen’, das zur Missionsmethode der Comboni-Missionare gehört.
Mission ist, den Leib des leidenden Bruders berühren – in seiner menschlichen, sozialen und kulturellen Situation – und ich lade ein, „nicht in der reinen Idee verhaftet zu bleiben und in Formen von Innerlichkeitskult und Gnostizismus zu verfallen, die keine Frucht bringen“, sondern versuchen, „das Kriterium der Wirklichkeit zu sein – eines Wortes, das bereits Fleisch angenommen hat und stets versucht, sich zu inkarnieren“, nach dem Kriterium, „dass die Wirklichkeit über der Idee steht“ (EG 233). Franziskus fügt weitere missionarische Dimensionen hinzu: „die Menschheit in all ihren Vorgängen, so hart und langwierig sie auch sein mögen“, zu begleiten; die Begleitung „kennt das lange Warten und die apostolische Ausdauer. Die Evangelisierung hat viel Geduld und vermeidet, die Grenzen nicht zu berücksichtigen“.
Unterstreicht ‚Afrika durch Afrika retten‘ nicht etwa den Prozess, unaufdringliche Weggefährten zu werden, damit das Volk zum Protagonisten seiner eigenen Geschichte wird? Und schließlich die Kriterien von befruchten und feiern, „damit das Wort Gottes in einer konkreten Situation Gestalt annimmt und Früchte neuen Lebens trägt“ und „jeden kleinen Sieg, jeden Schritt vorwärts in der Evangelisierung preisen und feiern kann“ (EG 24).
Zum Wesentlichen der Mission zurückkehren bedeutet, die Gemeinschaft als Handelnde zu entdecken, die evangelisiert, Initiativen ergreift, teilnimmt, begleitet, Früchte trägt und feiert, weil nach den Worten der Enzyklika „die Gemeinschaft eine Verbundenheit auf dem Weg ist, und die Gemeinschaft sich wesentlich als missionarische Communio darstellt“, die vom Geist Jesu beseelt ist (EG 23). Ich füge hinzu, dass die Gemeinschaft jene Verbundenheit auf dem Weg ist, die, während sie evangelisiert, selbst evangelisiert wird; während sie unterrichtet, dazulernt; während sie Subjekt der Mission ist, selbst zum Objekt wird und sich gegenseitig durch Schenken und Empfangen bereichert.
- Teilung und Wiedervereinigung
Die Ereignisse der Teilung und der Wiedervereinigung der Kongregation in Erinnerung zu rufen, wenn auch nur in groben Zügen, wirkt sich nach meiner Meinung nicht nur positiv auf unsere gemeinsame Zugehörigkeit aus, sondern auch auf die Art und Weise, unsere Mission zu leben.
Die Teilung der Kongregation im Jahre 1923 hatte eine “tiefe Wunde” aufgerissen, schreibt P. Romeo Ballan in der Beilage zu Familia Comboniana vom April 2017 und zitiert dabei P. T. Agostoni und P. F. Pierli. Die Gründe für die Teilung schienen schwerer zu wiegen als die für die Einheit: unterschiedliche Ausbildung und Missionsmethode, überhitzter Nationalismus, völliges Ausschalten des Dialogs von Seiten der Führungsspitze, der man „die Zweiteilung des einen von Comboni gegründeten Körpers in die Schuhe schob”[3], wie sich das Bollettino von 1972 ausdrückte. Viele Comboni-Missionare haben die Teilung als schmerzlich empfunden und “sie nie wirklich voll akzeptiert – unterstrich derselbe Artikel – im Gegenteil, für so manchen ist sie zu einer Gewissenfrage geworden” [4].
Die Sehnsucht nach der Wiedervereinigung ist nie erloschen, denn „die Comboni-Gruppe ist ihrer eigenen Berufung immer treu geblieben: von daher kommt die von Comboni grundgelegte und fruchtbringende Unruhe”[5]. Diese Unruhe hilft, gegenseitige Abkapselung zu überwinden und Vorurteile abzubauen. Sie festigt das Bewusstsein, dass Comboni unser gemeinsamer Gründer und die Mission der Existenzgrund „des einen in der Mission geborenen”[6] Comboni-Instituts ist, und ruft eine Reihe von Initiativen hervor. Diese Unruhe führt zur Tat und wird konkrete Geschichte von informellem Meinungsaustausch, Forschungsarbeit, Zusammenarbeit in der Mission, von praktischen Schritten zu gemeinsamer Ausbildung in Spanien und zum Einsatz von Personen, die an die Wiedervereinigung geglaubt haben wie die P. A. Riedl und P. E. Farè.
Die Unruhe wird konkrete Geschichte von Überlegungen der Generalkapitel der beiden Institute, von der Arbeit der Reunion Study Commission und bis herauf zum Kapitel von 1979, das die Wiedervereinigung formell sanktioniert. Die Wiedervereinigung, die nichts anderes als ein formeller und juristischer Akt war, ist durch echten Dialog, gegenseitiges Sich-Annehmen und ehrliches Geradestehen für die eigenen Verfehlungen und durch das Bewusstsein der identischen, gemeinsamen Wurzeln vorbereitet worden, um die Einheit wiederherzustellen. Ich glaube, dass diese Sehnsucht nach der Wiedervereinigung und der Prozess, der sie in Bewegung gesetzt hat, Gründungselemente unserer Identität sind, besonders für unsere Zeit, in der die Kongregation eine ausgeprägte kulturelle Vielfalt annimmt. Wir sind ein Institut, das auf Wiederversöhnung und auf gegenseitiger An- und Aufnahme aufgebaut ist, und gesandt wird, in Frieden lebende Gemeinden zu errichten: Vergebung, Dialog, Versöhnung, Annahme des Nächten gehören zu unserer missionarischen Identität.
Ich finde die Worte in Evangelii Gaudium über die Art und Weise, den unausweichlichen Konflikten zu begegnen, die in einer Gemeinschaft entstehen können, sehr treffend. „Den Konflikt – sagt der Papst – soll man nicht ignorieren, noch weniger sein Gefangener werden oder die eigene “Konfusion und Unzufriedenheit” auf andere projizieren. Man soll den Konflikt erleiden, ihn lösen und zum Ausgangspunkt eines neuen Prozesses machen“ (EG 227). “
Auf diese Weise wird es möglich sein, dass sich aus dem Streit eine Gemeinschaft entwickelt. Das kann aber nur durch die großen Persönlichkeiten geschehen, die sich aufschwingen, über die Ebene des Konflikts hinauszugehen, und den anderen in seiner tiefgründigen Würde zu sehen. Dazu ist es notwendig, sich auf ein Prinzip zu berufen, das zum Aufbau einer sozialen Freundschaft unabdingbar ist, und dieses lautet: die Einheit steht über dem Konflikt” (EG 228).
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Versuch, einen Konflikt anzugehen, die bedingungslose Annahme des anderen voraussetzt, und im Licht der eigenen charismatischen und missionarischen Identität geschehen muss. Auf diese Weise werden die Unterschiede, oft Auslöser von Konflikten, das Wohl der Mission fördern. Mit Hilfe dieser erlittenen, gelösten und aufgearbeiteten Konflikte können Gemeinschaften kultureller Vielfalt entstehen und die Gemeinschaft selbst zum Zeichen und Merkmal von Versöhnung und Dialog werden.
- Abschließend: problematische Knotenpunkte
Ich möchte noch auf einige Fragen eingehen, die nach meiner Ansicht im ersten Viertel unseres Jahrhunderts von besonderer Bedeutung sind, ohne mir aber anmaßen zu wollen, Lösungen parat zu haben. Sie sollten vielmehr zu weiteren Überlegungen anregen.
Wie schon oben erwähnt, schließen sich unserer Kongregation Mitbrüder aus dem Süden an, die aus anderen Kulturkreisen kommen, und bereits Führungspositionen einnehmen. Die Präsenz dieser Mitbrüder verändert nicht nur das Zahlengefüge der Kongregation, sondern bringt auch eine neue Art mit sich, das Ordens- und Gemeinschaftsleben und die Mission zu betrachten. Dialogbereitschaft und aufmerksames Hinhören auf die Beweggründe des anderen sind heute unerlässlich. Denn die kulturellen Unterschiede werden immer sichtbarer und bewährte Weisen Probleme zu lösen, werden immer mehr in Frage gestellt.
Ich denke besonders an das Problem der comunità d’inserzione radicale. Nach allgemeinem Verständnis und gemeinsamer Praxis geht es dabei um die Armut in der Lebensgestaltung, indem man sich auf die Ebene der Armen begibt und sich einfacher Strukturen bedient. Ich frage mich, ob Mitbrüder, die nicht aus Kulturen der westlichen Welt kommen, ein anderes Verständnis haben von Armut, von einem Leben in Armut, mit den anderen in Armut zu leben; ob sie, ganz allgemein gesprochen, eine andere Sensibilität für ‚radikale‘ Armut mitbringen. Ich kann mit keinen Lösungen aufwarten, möchte aber diese Frage aufwerfen. Ich glaube aber, dass das Bemühen, uns gegenseitig zuzuhören, besonders was mündliche und nicht mündliche Botschaften angeht, uns helfen kann, eine Gemeinschaft der Unterschiede (comunità delle differenze) aufzubauen. Das wäre ein erster Schritt auf dem Weg, Gemeinschaften kultureller Vielfalt zu errichten.
Ein anderes Problem betrifft die Vorläufigkeit und die Übergabe von Aufgaben (besonders von Pfarreien), sobald diese eine gewisse finanzielle, pastorale und missionarische Selbständigkeit erreicht haben (LF 70). Ich erwähne, ganz nebenbei und ohne Polemik, dass auch noch nicht selbstgenügsame Einsätze, die unsere Präsenz weiterhin nötig gehabt hätten, wegen Personalmangel dem Bischof übergeben wurden.
Die Ideale der Lebensform kollidieren oft mit den Möglichkeiten der Geschichte. Das Problem, selbständige und finanziell gut dastehende Pfarreien zu übergeben, wird jetzt besonders akut, da die radikal zu einer sogenannten „Missionsprovinz“ gehörenden Mitbrüder zahlenmäßig zunehmen und, was recht und billig ist, mit ihrer Leitung betraut werden. Die Autonomie der Provinzen, besonders was der finanzielle Unterhalt ihrer radikalen Mitglieder betrifft, ist ein ernstzunehmendes Problem, dem sich viele Provinzen stellen und nach entsprechenden Lösungen suchen müssen. Aus dieser Sicht und im Licht der neuen geschichtlichen Gegebenheiten müssen Aussagen und Ansichten, die wir als selbstverständlich betrachteten, neu überdacht werden. Wenn ich an meine Erfahrungen als Provinzoberer denke, dann kommen mir die Zweifel und die Ratlosigkeit der radikal zur Provinz gehörenden Mitbrüder in den Sinn, wenn es darum ging, eine finanziell blühende Pfarrei dem Bischof zu übergeben.
Ein dritter problematischer Knoten: Die Mission mitsamt ihrem Kontext und die juristische Gliederung der Kongregation in Provinzen und Delegationen passen sich fast durchwegs den nationalen Grenzen an. Viele „missionarische Situationen“ wie die der Hirtenvölker Westafrikas, der afrikanischen Nachkommen Amerikas, der indigenen Völker von Lateinamerika, aber auch die Probleme der Randgebiete der großen Städte sprengen politische Grenzen und unsere Jurisdiktionsbereiche. In solchen Fällen spricht man in der Kongregation von ‚kontinentalen Einsätzen‘. Ich frage mich, ob wir nicht die rechtliche Organisation der Kongregation nach den Kriterien des missionarischen Einsatzes überdenken und der neuen Realität anpassen sollen. Mit anderen Worten: sollte eine rechtliche Teilung nicht in erster Linie die ‚missionarischen Situationen‘ vor Augen haben anstatt der Verwaltungsgrenzen eines Staates?
Diese Frage ist nicht neu, denn sie wurde bereits auf dem Generalkapitel 2009 angeschnitten, aber ohne sich mit dem Problem auseinanderzusetzen. Es stimmt zwar, dass die Lebensform beim Austausch von Personal zwischen Jurisdiktionsbereichen eine gewisse Flexibilität (116 und 125) vorsieht. Jedoch die Neugestaltung (oder wie immer man das nennen will) einer Provinz gemäß einer ‚missionarischen Situation‘ fördert die Einheit und Identität, erleichtert die Ausarbeitung gemeinsamer pastoraler Richtlinien und die Überprüfung der übernommenen Einsätze.
Meiner Ansicht nach sollten wir diese drei problematischen Knotenpunkte (und andere, sollten sich weitere ergeben) mit Aufmerksamkeit verfolgen, in ständigem Dialog darüber bleiben und ehrlich darüber nachdenken.
“Wir wollen weiterhin auf Gott, Comboni und die Menschen hören, um in der heutigen Mission die Zeichen der Zeit und der Orte wahrzunehmen und auf sie hinzuweisen” (KD ’15, 22). Dieser Aufgabe dürfen wir uns nicht entziehen.
P. Mariano Tibaldo mccj
Zum Nachdenken
- Wenn ich meine eigene Geschichte und/oder jene der Kongregation in Erinnerung rufe, welches sind die Grunderfahrungen gewesen, die mein Leben geprägt haben, und in denen ich die Gegenwart Gottes erkenne? In wieweit haben diese Ereignisse mich oder das Leben der Provinz verändert?
- Gibt es förderliche Handlungen, die in der Provinz und/oder auf einem sozialen Gebiet etwas verändert haben? Wie sehen diese Veränderungen aus? Wer hat sie ausgelöst? Was ist in unserer Missionstätigkeit mehr das Ergebnis von persönlichen Plänen als vom Versuch, auf Veränderungen hinzuarbeiten?
- Welche schwierigen Situationen auf persönlicher und/oder auf Kongregationsebene haben meine missionarische Sendung geläutert und glaubwürdiger gemacht und der Provinz geholfen, das Wesen der Mission wiederzufinden?
- Gibt es Konflikte und wie begegne ich ihnen in der Gemeinschaft und in der Provinz?
Übersetzung P. Alois Eder, mccj, Ellwangen
[1] Domenico Agasso sr – Domenico Agasso jr, Un profeta per l’Africa. Daniele Comboni, Cinisello Balsamo (Milano), San Paolo, 2011, pp. 279-280.
[2] Antonio Vignato, Una pagina di storia catechetica africana, in «Combonianum», 8 (1944)2, p. 11-12. Roma, Archivio Centrale, l/A/l.
[3] Kurze Übersicht über die Kontakte der italienischen (FSCJ) und der deutschen Comboni-Missionare (MFSC), im «Bollettino» (1972) 97, S. 58.
[4] Ibid. p. 58.
[5] Ibid. p. 58.
[6] Ibid. p. 59.